22. Februar 2022 - „Wie viele Kilometer trennen uns eigentlich von unserem schwimmenden Zuhause?“ frage ich heute Morgen meinen Kapitän.
Wolf checkt die Distanz auf Navionics. „Exakt 5.555 Seemeilen oder 10.288 Kilometer.“ Ich schaue ihn an, als hätte er mir gerade vorgeschlagen, zum Frühstück keinen Kaffee mehr zu trinken. Bei den verheerenden Orkanen, die zurzeit über Nordeuropa ziehen, fliegen meine Gedanken oft zu unserer Nomad im fernen Kanada. In knapp zwei Monaten wollen wir wieder ins Bootleben eintauchen und die Wirren Europas für eine Weile hinter uns lassen. Wie wird es sich anfühlen, wieder in der Werft zu schleifen, streichen und zu fluchen? Und wie wird der Sound der Wellen klingen, wenn die Sonne im Meer versinkt?
Ein wahrer Lichtblick in diesem Pandemie-Winter ist unsere Live-Show in Freiburg. Nach drei Jahren stehen wir mit rasendem Puls wieder auf der Bühne und fühlen uns genauso nervös wie bei unseren ersten Vorträgen vor 22 Jahren. Wir erzählen von unserer Reise durch die Nordwestpassage, die Reaktion in den Gesichtern des Publikums können wir leider nicht sehen, weil jeder Maske trägt, doch schon bald spüren wir: Es funktioniert noch. Die Magie der großen Bilder und die Geschichten dazu. Nach meinen Schlussworten herrscht Stille im Bürgerhaus am Seepark, ich halte den Atem an. Dann tosender Applaus, Erleichterung und der Moment, als Wolf mich an der Hand nimmt, und wir uns gemeinsam verneigen. Auf einmal wird alles leicht. Ein Rausch vollkommener Gegenwart und ein Abend, an dem man die Menschen einfach lieben muss.
Ich habe das zweifelhafte Talent, mir immer dann Druck zu machen, wenn er eigentlich von mir abfallen sollte. Den Geist so schnell wie den Körper in den Alles-ist-gut-Modus zu befördern, funktioniert einfach nicht. Oft denke ich an den dünnen Boden unter unseren Füßen, den schmalen Grat zwischen Erfolg und Misserfolg. Den Zufall, der einen manchmal fliegen und manchmal abstürzen lässt. Bei der Heimfahrt besuchen wir eine liebe Freundin in St. Anton am Arlberg, leisten uns nach sehr langer Zeit mal eine Liftkarte und genießen traumhafte Abfahrten am Rendl, Kapall, Galzig und der Schindlerspitze. Der Schnee staubt und unser Grinsen reicht bis zur Skibrille hinauf.
Am nächsten Tag erreichen wir Puchberg bei Sonnenuntergang, Tank auf Reserve. Wolf schaltet das Radio an. Krieg oder Frieden in der Ukraine? Verwirrspiel der Pandemie. Ende der Olympischen Spiele in Peking. Die Welt holt uns wieder ein. Dieses Dauerfeuer an Informationen und Emotionen. Ich wäre gerne weitergefahren, wie man sich das manchmal so wünscht. Einfach immer weiter, alles hinter sich lassen, bis nur noch Weite und Freiheit eine Rolle spielen …
Oben: Vortragssaal im Bürgerhaus am Seepark in Freiburg; unten: originelle Deko in der Innenstadt von Freiburg