8. Mai 2022 - Wir haben es geschafft, sämtliche Einreisebedingungen für Kanada zu erfüllen. Wir sind dreimal geimpft, haben unsere elektronischen Visa erhalten sowie die ArriveCan-App aufs Handy geladen.
Halleluja! Dennoch fühle ich mich in diesen Tagen sehr sentimental und dünnhäutig. Wahrscheinlich stört mich das merkwürdige Gefühl des Abschiednehmens. Eigentlich mag ich das Wandeln zwischen den Welten, das Umschalten vom Leben an Land auf Leben am Boot, doch diesmal überfordert mich die Situation irgendwie.
Ich blicke zurück auf die letzten sechs Monate in Österreich, erinnere mich an phantastische Skitouren; spüre die Enttäuschung, dass wir diese Saison nur einen Vortrag halten konnten; leide immer noch an Schulterschmerzen von meinem Sturz über die Stufen der Seilbahnstation am Dachstein; sehe Wolf beim Anklettern auf der Hohen Wand zu; begeistere mich am Explodieren der Natur im Frühling, rieche erdige, würzige Luft im Garten. Dann eilen meine Gedanken voraus, ich stelle mit vor, wie der Wind die Spinnweben aus meinen Kopf pusten und offene Fragen mitnehmen wird. Ich sehe uns bereits in einer einsamen Bucht in British Columbia ankern, fernab vom Geschrei der Welt unter einem gigantischen Sternenhimmel. Die Vorstellung hat einen immensen Sog. Nietzsche hat einmal gesagt: „Man muss das Leben tanzen.“ Genau so.
Plötzlich sind die Abende spät und gedehnt, erfüllt von Unruhe und Rastlosigkeit. Was nehmen wir mit zum Boot und worauf können wir verzichten? Unsere beiden Gepäckstücke bestehen aus einem 30 Kilogramm schweren Großsegel und einer Reisetasche voller Ersatzteile. Wir machen uns endlich wieder auf den Weg. Jede Abreise trägt den Zauber eines Anfangs in sich.