Saisonende

 4. Oktober 2017 - Darauf haben wir gewartet: Der Wind legt eine Atempause ein.

Ein knappes Wetterfenster von 36 Stunden soll sich öffnen. Prophezeit sind vier Beaufort aus West, in der Nacht rückdrehend auf Süd. Mit der See spaßt hier niemand, denn der Golf von Alaska ist, was das Segeln betrifft, einer der unwirtlichsten Winkel der Welt. Am 24. September 2017, ein Tag ohne Wetterwarnungen, stecken wir unsere Nase aus der düsteren Saposa Bay auf der Insel Afognak. Ein böiger Wind schiebt uns durch die Marmot Strait nach Norden, schnell werden die Wellen höher. 

Vor unserem Bug ein uns unbekanntes Meer, der Golf von Alaska. Er wird andere Farben kennen, andere Gesetze, andere Gerüche, andere Tücken. Hier herrschen wesentlich stärkere Strömungen, Ebbe und Flut senken und heben das Meer alle sechs Stunden um bis zu zehn Meter (Cook Inlet), es gibt wenig Häfen, wenig gut geschützte Ankerplätze, und die Tiefdruckgebiete rasen hier öfter, schneller und ungebremst übers Meer. Die Tage ohne Sturmwarnung sind um diese Jahreszeit gezählt. Wir lassen uns auf ein neues Revier ein, müssen umdenken, den Coast Pilot Nummer 9 studieren, wir müssen uns mit Tidenkurven beschäftigen, mit Flut- und Ebbstrom, wir müssen Stromberechnungen anstellen, Mondphasen berücksichtigen, ...

Zum Glück erleben wir den Golf von Alaska an einem gnadenvollen Tag. Der Wind bläst gütig und Nomad trägt uns leichtherzig durch die sternenklare letzte Nachtfahrt dieser Saison. In unserem Kielwasser schlängelt sich ein phosphoreszierender Schweif. Kalt, klamm, unheimlich. Vor der nächsten Gale-Warning schlüpfen wir in die Resurrection Bay, an deren Scheitel der kleine Hafen von Seward liegt, Nomads Winterlager! 

Wie schnell dieser Sommer verflossen ist! Nach knapp 3000 zurückgelegten Seemeilen nimmt alles seinen vertrauten Lauf. Wir bereiten Nomad auf den langen Winter vor und uns beide auf die Rückkehr nach Österreich. Wir Menschen leben in Ideen. Sie sind alles, was wir wirklich haben. Die Idee Nordwestpassage ist nun endgültig Geschichte. Was ist geblieben? Natürlich stromern noch einige stürmische, nasse Tage durchs Gedächtnis, wir erinnern uns ans Packeis im Nebel, an sintflutartige Schauerböen, an beißende Winde. Doch so wie wir Menschen eben gestrickt sind, suchen wir uns im Nachhinein stets die schönen Seiten heraus. Nicht einmal die schlimmsten Segeltage besitzen die Kraft, die Schönheit der Arktis zu entzaubern. Das Gurgeln der Bugwelle, das majestätische Glitzern der Eisberge, das Ziehen der Segel, der heiße Ritt übers blau schraffierte Eismeer, die ungehobelte Schönheit des hohen Nordens, die nicht enden wollenden Tage, ...

So long aus Seward!

Wanderung zum Harding Icefield, Kenai Peninsula, Alaska.