Noch lange nicht

01. September 2019 - Sommer in Kanada. Landschaftskino im Breitwandformat. Eine moos- und waldbedeckte Wildnis,

in der, trotz der fortschreitenden Abholzung, bis zu 1000 Jahre alte Bäume stehen, von denen lange, weißgrüne Bartflechten baumeln. Ein einzigartiges Miteinander von Inseln, Klippen, Fjorden, Bergen und dem Pazifik. Überall Wasser. Es kommt von oben, von der Seite, es ist unter uns, es legt sich als Nebel oder Morgendunst über das Boot, über unsere Gesichter, es hängt schwer in tiefen Wolken und stürzt sich aus Hunderten Wasserfällen in Meeresarme.

Wir leben mit den Gezeiten, genießen einsame Ankerplätze an der Westküste von Vancouver Island, bewundern Totempfähle, verlieben uns in den Geruch von Zedern und spazieren an Stränden mit viel Treibholz und Kelp. Was uns begeistert? Die Einsamkeit der Küste. Manchmal mehr als 20 Meilen keine Ortschaft, kein Haus. Eben Kanada. Nichts Spektakuläres, großartige Ereignislosigkeit und trotzdem anziehend. Stille, ungezähmte Natur, viele stressfreie Zonen. Ein Orca, der uns stundenlang begleitet. Fauchende Seelöwen, mit denen wir uns in Ucluelet den Ankerplatz teilen. Drei Grizzlys, die in Port Harvey am Ufer entlang spazieren. Oder die Brombeeren, die wir in Tahsis pflücken. Besser als alle Brombeeren, die ich je probiert habe. Weich, süß, ein vollendetes herbstliches Aroma wie ein fruchtiger Rotwein, und im Abgang ein Hauch, wirklich nur ein Hauch von Salz.

Aber auch ein Sommer, der sich nur stundenweise zeigt. Während Europa unter einer Hitzewelle stöhnt, tragen wir meist lange Hosen und Pullover. Schwimmen? Im 14 Grad kalten, schlammbraunen Wasser? Nein danke. Dafür staunen wir täglich wir über die Freundlichkeit der Kanadier, die nicht mal mit der Wimper zucken, als wir beim Anlegemanöver in Tofino wegen tückischem Querstrom den Elektroverteilerkasten umnieten. „No problem guys“, meint der junge Hafenmeister grinsend und steckt das Plastiktürmchen samt Stecker- und Kabelsalat wieder zusammen.

Noch lange nicht wollen wir daran denken, dass sich die letzten drei Monate bald schon in die Vergangenheit stehlen werden. In Erinnerung bleiben die verträumten Gulf Islands, die Bergtouren am Festland, Vancouver, diese lässige Metropole und Vancouver Island, die größte bewohnte Insel vor der nordamerikanischen Küste, die wir gegen den Uhrzeigersinn umrundeten. Und ein Slogan, der diesen Sommer treffend beschreibt: „Half the speed, twice the pleasure.“

In diesem Sinne senden wir beste Grüße aus Bamfield, SW-Küste Vancouver Island.