Warteschlange

11. April 2020 - In der Quarantäne hat man nicht viel zu tun und dazu den ganzen Tag Zeit. Ich persönlich hasse dieses Herumsitzen.

Irgendwie wartet man darauf, dass sich etwas tut. Man wartet, ob man einen Außenborder hört, oder ob ein Auto am Hafen entlangfährt. Man wartet, ob der Nachbar den Generator startet oder Wäsche an die Reling hängt. In unserem Alter sollte man nicht mehr unnötig lange warten, deshalb haben wir mit dem Schleifen und Lackieren der Fensterrahmen begonnen, so sind wir vorerst mal beschäftigt.

Ungeduld auf den Booten scheint sich in Unruhe und Furcht zu verwandeln. Wir hören von ersten Unstimmigkeiten, Depressionen, Fluchtgedanken. So manche Crew ist bunt zusammengewürfelt, einige wollten nur zwei, drei Wochen bleiben und müssen nun auf engstem Raum ohne Auslauf zusammenleben. Ausnahmesituation also auch in der Südsee. Einige Yachties klagen über Kreislaufbeschwerden und Rückenschmerzen. Warum wundert mich das nicht? Wir alle hängen den ganzen Tag im stickig heißen Schiff oder im Cockpit rum. Nur zeitig am Morgen sieht man Menschen an Deck, sie drehen ihre Runden, machen Yogaübungen, Klimmzüge, Liegestütze. Schwimmen dürfen wir offiziell nur, um das Unterwasserschiff zu inspizieren, aber natürlich baden wir alle in der dreckigen, undurchsichtigen, 30 Grad warmen Hafenbrühe.

Vermehrt fragen uns Familie, Freunde, Bekannte über WhatsApp oder E-Mail, warum wir denn nicht heimfliegen? „Das Außenministerium holt euch eh zurück.“ Das Problem stellt unser Boot dar. Ein Boot ist nämlich kein Auto, das man einfach am Straßenrand parkt. Es gibt hier weit und breit keinen Platz, Nomad für längere Zeit abzustellen. Ich habe jede Marina, jede Werft in Polynesien bis rauf nach Hawaii angeschrieben. Nichts. Alles übervoll. Zu viele Yachten auf unserem blauen Planeten. Die einzige Möglichkeit, die noch bleibt, ist, unser Schiff in Tahiti (800 Seemeilen entfernt) alleine vor Anker zu lassen, was für uns bedeuten würde, unser schwimmendes Zuhause aufzugeben. Quasi ein 50:50 Joker, ob wir es in vielleicht einem Jahr heil wieder sehen werden. Horrorgedanken zischen uns durch den Kopf: Ankerkettenbruch, Strandung im Sturm, Schiff geht unter wegen undichtem Bordventil oder Korrosion,   . es gibt unzählige Szenarien, wie man sein Schiff verlieren kann.

Immer öfter frage ich mich, wie wir alle diese Coronavirus-Krise schaffen sollen? Wir sind auf den Knien, es knackt in allen Fugen. Die Wirklichkeit, die bis vor kurzem noch alltäglich war, ist verbogen und verformt. Wir erleben soeben etwas, was die Erdachse vielleicht in eine andere Richtung kippen wird. Aber hauptsächlich haben wir alle Angst vor dem Unberechenbaren, das über uns liegt. Wertvolle Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern. Manchmal stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn dieser Albtraum endlich vorbei ist. Dann träume ich davon, dass das Leben wieder losgeht.

Marquesas Inseln, Hiva Oa, Hafen von Atuona, 22. Tag unseres Bootarrests, der bis 29. April 2020 verlängert wurde.

P.S.: Zurzeit herrscht in ganz Französisch Polynesien ein striktes Segelverbot. Alle Pazifikstaaten Richtung Westen (wie Cook Islands, Tonga, Fidschi, Vanuatu, Neukaledonien, etc.) sind dicht, soll heißen, man darf mit dem Segelboot nicht einreisen. Ebenso Neuseeland und Australien, wo man laut darüber nachdenkt, die Sperre auf ein Jahr auszudehnen. Einzig Mexiko und USA haben noch offene Grenzen mit 14tägiger Quarantäne.