Kon-Tiki

12. Juli 2020 - Jeder Ort hat seine eigene Zeit, auch das Raroia Atoll. Nach zwei Wochen in dieser türkisfarbenen Lagune inmitten des großen Pazifiks sind wir längst in einem neuen Modus angekommen.

Im Atoll-Modus. Die Stunden, die Tage sickern und plätschern dahin. Wir schweigen, wir verharren, wir beobachten. Um Inventur im Kopf zu machen, um ein- und auszusortieren. Um Fragen aufzulauern, deren Antworten sich vielleicht irgendwo ein paar Milliarden Kilometer entfernt befinden. Um empfänglich zu sein für das Hier und Jetzt und für den Pulsschlag des Atolls. Raschelnde Palmen, Kokosnüsse, angespülte Walknochen, eine verlassene Hütte, Sandbänke, Korallenriffe, Perlaustern, Fische, …

Das vermeintliche Paradies hat aber auch Kratzer, auf jeden Rausch folgt bekanntlich der Kater. Alle paar Tage dreht der Wind mit dunklen Wolkenbänken, heftigen Böen und Regen. Für uns bedeutet das: Ankerplatz wechseln, quer Lagune durch ein Minenfeld an Korallenköpfen und Perlfarm-Bojen navigieren, gar nicht lustig. Am Saumriff bricht sich dann die hohe Dünung des Pazifiks in durchscheinenden Wasserwänden und hellblauen Schaumrollen. Immer wieder spazieren wir zum Außenriff und bestaunen dieses Spektakel.

Im August 1947 strandete hier Thor Heyerdahl mitsamt seinen fünf Reisegefährten auf dem fragilen Balsaholzfloß „Kon-Tiki“. 101 Tage dauerte ihre epische Forschungsreise, die in der peruanischen Hafenstadt Calao startete. Unvorstellbar, dass die Mannschaft diese unsanfte Landung überlebte, dass das messerscharfe Riff sie nicht allesamt zermalmte. Mit der waghalsigen Expedition wollte Heyerdahl beweisen, dass Polynesien von Südamerika aus besiedelt wurde. Der norwegische Pionier der experimentellen Archäologie erhielt 1951 für die Filmdokumentation der Abenteuerfahrt sogar einen Oskar. Sein Reisebericht wurde in 70 Sprachen übersetzt und fast 100 Millionen Mal verkauft. Doch in der Wissenschaft blieb die Skepsis. Die Fachwelt zweifelte. Man ging nach wie vor davon aus, dass einzig und allein Menschen aus Südostasien nach und nach vom Westen her über Mikronesien die polynesische Inselwelt bis nach Hawaii und bis zur Osterinsel besiedelten.
Natürlich zollen wir dem berühmten „Wikinger“ unseren Respekt und besuchen den Gedenkstein auf dem kleinen Inselchen, wo er mit seinen fünf Kumpels eine Woche lang nach der Strandung lebte, bevor Einheimische sie entdeckten. Nachdenklich stehen wir vor der Tafel, die an eine der ikonischen Expeditionen des 20. Jahrhunderts erinnert und die Thor Heyerdahl mit einem Schlag berühmt machte.

Heute Abend zeigen sich am Himmel Sterne und ein voller Mond. Glückseligkeit in der Seele. Frieden über dem Boot. Sitzen im Cockpit und schmieden Pläne, die ohnehin keine richtigen Pläne sind, eher wackelige Ideen. Unsere Lippen bittersüß vom Gin Tonic. Die Härchen auf meinen Unterarmen surfen im Wind.

Ankerplatz-Tipps im Raroia Atoll:

„Walknochen“-Motu: 16 Grad 10,320´Süd + 142 Grad 24,988´West, 9 Meter Wassertiefe, viele Korallenköpfe; gut geschützt von NE bis SE, an Land: Unterstandshütte, auf der Nordseite des Motus liegen verstreut Walknochen

Ankerplatz etwas südlich vom „Thor Heyerdahl“-Motu: 16 Grad 04,227´Süd + 142 Grad 21,941´West, 12 Meter Wassertiefe

Ankerplatz direkt vor dem „Thor Heyerdahl“-Motu: 16 Grad 03,89´Süd + 142 Grad 21,71´West, 11 Meter Wassertiefe

NE-Ankerplatz: 15 Grad 57,354´Süd + 142 Grad 18,974´West, 7 Meter Wassertiefe, weniger Korallenköpfe als im Süden des Atolls, ausreichend Platz für mehrere Yachten