Little by little

27. Juni 2022 - Tag 47 in Kanada. Tag 47 in der Werft. Bis jetzt kein Urlaub, schon gar keine Reise. Eher Arbeitslager auf einer vergessenen Insel mit kleinen Bewährungsproben,

um daran erinnert zu werden, dass Bootsleben keineswegs nur Honigschlecken bedeutet. Wir schenken unserer Nomad viel Aufmerksamkeit und Zuneigung, denn kein Boot duldet Gleichgültigkeit oder gar Faulheit. Seit Wochen dreht sich alles um Wartungsarbeiten: um ein glattes Unterwasserschiff, um das Sandstrahlen des Schwerts, um den Austausch von Plexiglasfenstern, um das Montieren einer neuen Ankerwinsch, um Abklebebänder, Schleifpapier, Farbtöpfe, Pinsel, Schläuche, Gewindeschrauben, Nieten, usw. Es scheint uns nicht mehr zu kümmern, wann dieser Werftaufenthalt jemals enden wird. Gibt es überhaupt noch eine andere Welt? Gibt es noch Menschen, die nicht auf einem Boot arbeiten? Vergessen. Qualitätszuwachs sind zum Beispiel das geliehene Auto vom Bootsnachbarn, der aus Österreich mitgebrachte Schlagschrauber oder ein Spaziergang in der Sonne. Ich suche auch nicht mehr ewig nach Werkzeug oder Ersatzteilen, es läuft schon wesentlich geschmeidiger. Ich reiche Wolf auf Anhieb den passenden Schraubenschlüssel, lackiere unseren Cockpittisch als wäre Lackieren meine Lieblingsbeschäftigung und finde nichts mehr dabei, dass wir uns Dusche und Toilette mit mindestens zehn anderen Leuten teilen.

Sonntags fahren wir in die Gillies Bay zum Farmers Market oder wandern auf den Pocahontas, mit 475 Metern einer der höheren Erhebungen der Insel. Mit der Zeit lernen wir Texada und seine schrulligen Bewohner besser kennen. Zeit schafft Nähe, und Nähe schafft Einblick. Beim Autofahren grüßt man sich zum Beispiel mit Handzeichen. Der Tankwart erzählt, dass er in den letzten fünf Jahren nur dreimal die Insel verlassen hat und dass am Werftgelände früher eine Sägemühle stand. Elizabeth, die erst seit kurzem auf Texada lebt, schenkt uns frischen Salat aus ihrem Garten. Im „The Flower and The Bee“ gibt´s warme Zimtschnecken und guten Capuccino. Alles sehr entspannt und gemütlich. Da Grundstückpreise auch hier enorm ansteigen, müssen manche Leute permanent am Campingplatz leben, Lichtjahre entfernt vom verherrlichten Vanlife-Klischee. Tja, jetzt sind wir wirklich lange genug auf der Insel, um nicht nur ihre Oberfläche zu sehen.

Es heißt ja, man soll sich an den kleinen Dingen erfreuen, und das ist zweifellos richtig. Mich muntert jedes erledigte Projekt auf. Trotzdem lebt der Segler, die Seglerin davon, Pläne zu schmieden, die über den nächsten Farbanstrich hinausgehen. Denn da draußen wartet das Meer! Nie klangen Orte wie Nanaimo, Cortez Island oder die Broughtons so fremd und weit entfernt. Blicke ich auf die Arbeitsliste deutet sich das wunderbare Gefühl eines Endes an. Ich kann es kaum erwarten, dass unsere Nomad wieder schwimmt.

Boat Yard auf Texada Island in der Sturt Bay, British Columbia, Kanada