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Im Takt der Tide

veröffentlicht am: 09. August 2023 | Doris Renoldner

Wunderbarer Vorwindkurs. Mit sechs Knoten rauschen wir vor Vancouver Islands Westküste nach Süden, Tofino entgegen.

Im Ohr das Plätschern und Gurgeln. Im Auge das Funkeln und Blinken der See. Tofino, das Surfermekka von British Columbia, liegt am Clayoquot Sound. Mehrere Kurse führen zu dem bekannten Fischerstädtchen. Man kann die im Wege liegenden Inseln so runden oder so, es ist eine Frage des Temperaments. Mein Kapitän wählt – wie immer – die kniffeligere Route durch ein Labyrinth aus Felsklippen und engen Kanälen. Als Zugabe verstärkt die Nachmittagsthermik den strammen Nordwester. Wir segeln defensiv, quasi mit angezogener Handbremse: die Genua komplett weggerollt, das Groß zweifach gerefft. Am Public Dock in Tofino gibt es nur drei – derzeit belegte - Gastliegeplätze, die anderen Stege gehören den Fischern. Ausgebucht auch die noble Tofino Resort Marina. Erst Anfang September wäre wieder was frei, erklärt mir eine freundliche Frauenstimme am Telefon. Den Alptraumankerplatz vor dem Ort wollen wir uns nicht antun: schlechter Ankergrund, starke Tidenströme und Schwell der ständig vorbeiflitzenden Ausflugsboote. Nur eine knappe Meile weiter verspricht die Browning Passage eine ruhigere Ankermöglichkeit. Doch die Fahrt dorthin wird heikel. Anfangs drückt uns Querstrom viel zu nahe an eine Klippe. Danach wird die Passage zwischen Riley und Strawberry Island zu einem maritimen Rodeo. Unglaubliche Wassermassen pressen sich durch die Enge, an manchen Stellen kabbelt die Oberfläche wie in einer Fischfarm während der Fütterung. Wolf drückt den Gashebel auf Anschlag, der Motor heult auf, wir kommen trotzdem kaum voran. Die Tiefe sinkt von 13 Metern auf elf, auf neun, auf fünf – beängstigend schnell. Was für ein tückisches Revier! Irgendwie schaffen wir es in ruhigeres Gewässer und lassen unseren Anker zwischen den lästigen Bojen der Crab-Pots (Krabbenreusen) fallen. Im Blut tausend Schuss Sauerstoff.

Am nächsten Morgen düst Wolf mit dem Dingi zum Public Dock und siehe da, eine Segelyacht ist weggefahren! Also nichts wie hin. Jetzt, kurz vor Stillwasser, kommt uns die Strömung ganz harmlos vor. Wir pirschen uns an den Steg ran, und Nomad trifft den Liegeplatz auf Anhieb. Angelegt. So einfach geht das. Das charmante Tofino ist bekannt für seine gelassenen Bewohner. Wie den gut zwei Meter großen, witzigen Hafenmeister oder den sonnengegerbten, dauerbekifften Althippie, der samt Hund auf einem kleinen Motorboot lebt. Der Ansturm der vergangenen Jahre hat aus dem beschaulichen Örtchen ein Bohemian-Beach-Paradies gemacht. Kleine Bioläden, schicke Restaurants, bunte Cafés. Zu den bekannten Surfstränden fährt ein gratis Shuttlebus. Wir steigen beim North Chesterman Beach aus und spazieren bis zur Cox Bay. Nebel kriecht vom kalten Pazifik her und legt sich über Inselchen, Buchten, Sandstrände. Gespenstisch schön!

Tofino bedeutet für uns leider auch Abschied nehmen von unseren Weggefährten Irmgard und Reinhard. Gemeinsam segelten wir von Sandspit in Haida Gwaii bis hierher und legten dabei 530 Seemeilen zurück. Wir danken Euch fürs Lachen und Reden genauso wie fürs gemeinsame Schweigen und aufs Meer schauen. Es war eine Zeit außerhalb der Zeit. Drei Wochen lang lebten wir mit dem Lauf der Gestirne und im Rhythmus der Gezeiten. Drei Wochen ohne Telefon und Internet. Drei Wochen wie ein einziger langer salziger Wimpernschlag!

Oben links: Public Dock in Tofino, Oben: South Chesterman Beach bei Tofino