21. Oktober 2018 - Seit sieben Wochen leben wir auf Chappe. Zwei Rümpfe. Ein Mast. 140 Quadratmeter Segel. Vier Doppel-, zwei Einzelkojen, vier Nasszellen mit Toiletten,
zwei Motoren, ein Generator, ein Wassermacher. Riesiges Cockpit, dominantes Deckshaus. Viel Platz und Wohnraum auf 14 Meter Länge. Chappe, eine Catana 47, segelt komfortabel, weil aufrecht. Quer einfallende Wellen fühlen sich jedoch immer noch flau in meinem Magen an.
Frühmorgens liege ich mit Wolf vorne im Netz. Sanft streicht der Wind über unsere Haut. Wir schauen aufs Meer und genießen den Rundumblick: Palmen, Brandung am Außenriff, Motus, Korallenstrand. Trotz allem frage ich mich: Hat sich das alles gelohnt? Dieser zehnwöchige Skipperjob in Französisch Polynesien? Bis vor kurzem noch war ich demoralisiert von den vielen Sorgen, die das vernachlässigte Charterboot uns abverlangte. Es gibt Schöneres, als bei Tropenhitze vier Toiletten zu putzen oder im engen Motorraum kopfüber diverse Filter zu reinigen. Warum spuckt die Backbord-Maschine weißen Rauch aus? Warum stirbt der Wassermacher ohne Vorwarnung ab? Tausend Fragen, wenig Antworten. Meist hilft, gut zureden.
Alle zwei Wochen kommen sechs bis acht neue Gäste an Bord. Neue Namen, neue Stimmen, neue Eigenheiten, neue Lebenskonzepte. Zuweilen kommt es mir vor, als hätte der Tag 36 Stunden. Wolf und ich setzen einen Schritt nach dem anderen. Gedanken an den Winter in Österreich und das Chaos, das dort auf uns wartet, verdrängen wir so gut es geht.
Internetmäßig sind wir in den Tuamotus vom Rest der Welt abgeschnitten. Ein Zustand den ich eigentlich schätze, nur derzeit passt er nicht. Unser neues Buch HART WIE DAS EIS ist Mitte September erschienen und niemand weiß davon. Wir sollten unsere Vorträge, die ab Jänner 2019 anlaufen, organisieren, doch Büroarbeit ist bis auf weiteres verschoben. Übe mich im geduldig werden.
Hin und wieder glaube ich, dass ich die Zeit verlassen habe, in eine Parallelwelt eingetreten bin, in der alles möglich ist. Und mir beginnt der Aufenthalt an Bord zu gefallen. Eine zwanglose Beziehung zu Chappe entsteht, der Kat wird immer vertrauter. Vieles, was mich an dem "fremden" Boot gestört hat, finde ich nicht mehr schlimm. Manchmal fühlt es sich sogar an wie Urlaub.
Chappe, eine Catana 47