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Der Zahn der Zeit

veröffentlicht am: 23. Juni 2019 | Doris Renoldner

19. Juni 2019 - Ein altes Schiff zu besitzen, ist eine Seite der Medaille, ein altes Schiff in Schuss zu halten, die andere.

Um Nomad nach dem langen Winterschlaf wieder seeklar zu bekommen, rackern wir uns ab. Boote verlangen Hingabe und jährliche Wartungsarbeiten, sonst vergammeln sie. Und sie verschlingen Geld und Zeit, sie fressen tausende von Stunden, sie können Ehen vernichten, sie treiben einen manchmal in den Wahnsinn oder in den Bankrott. Werftnachbar Bevan, 72, schmunzelt. Er renoviert seit sieben Jahren einen stählernen Schoner. "Alles ganz normal. Macht euch keine Sorgen. Ihr liegt gut im Rennen." Eines Tages schreckt uns fürchterliches Knirschen aus dem Arbeitstrott. Knapp 30 Meter neben uns zertrümmert ein Bagger eine Segelyacht, reißt mit seiner riesigen Schaufel das Laminat samt Inneneinrichtung in Stücke und entsorgt diese in einem Container. Auch keine Lösung. "Hat wohl seine Rechnung nicht bezahlt!" witzelt Bevan.

Ständig neue Herausforderungen. Jede aufgerissene Wunde fördert ein, zwei neue Blessuren zutage, das ist bei Booten wohl nicht anders als bei Menschen. Prophylaktisch tauschen wir das Kutterstag. Beim Montieren bemerkt Wolf, dass der nagelneue Augterminal einen Riss hat, also alles nochmals von vorne. Den Hydraulikzylinder fürs Ruder, der schon viele Jahre auf dem Buckel hat, bekommen wir einfach nicht dicht. Bestellen daher einen neuen in Frankreich und werden ihn beim nächsten Werftaufenthalt einbauen.

Boote sind keine Häuser, keine Wohnungen, sie sind nicht viereckig und leicht zugänglich, man muss in Stauräume, in Backskisten hineinkriechen, um sie zu reinigen. Man muss sich unter dem Badezimmerkästchen verwinden, um den neuen Kloschlauch zu montieren. Staubmasken tragend beginnen wir mit dem Schleifen am Rumpf und träumen vom Wegsegeln. Unsere Hände voll mit Farbe, unter den Fingernägeln schwarze Kleberreste. Ein alter Plastikeimer dient in der Nacht als Toilette. So weit muss dich ein anderer Traum erst einmal treiben.

Die Verblüffung, wenn etwas klappt, ist fast genauso groß wie die, wenn etwas misslingt. Wir starren uns an, sagen kein Wort, als fürchten wir, damit den Bann zu brechen und festzustellen, dass alles nur ein Traum ist. Nach 17 Tagen Schufterei in der Werft wird Nomad zurück ins Wasser gehoben. Unsere tapfere Lady schwimmt wieder in ihrem Element! Dennoch gibt es immer noch viel zu tun. Segel anschlagen, Reffleinen fädeln, Dingi flicken, Schrauben, Splinten besorgen, Lebensmittel einkaufen, Gasflasche füllen, ... Am 18. Juni lösen wir die Leinen vom Steg E24, lassen leichten Herzens die Canoe Cove Marina zurück, wo wir 10 Monate zuvor festgemacht haben. Geschafft! Wir sind endlich wieder unterwegs!

Canoe Cove Marina, Sidney, Vancouver Island

Trailer


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