5. Juni 2020 - Ua Pous markante Silhouette erinnert an ein Märchenschloss, ein Neuschwanstein mitten im Pazifik.
Spektakuläre Felstürme ragen in den Himmel, oft verhüllen Wolken ihre Spitzen. Wir ankern vorm Minidorf Hakahetau, dessen Hauptstraße scheinbar vom Meer in die Berge führt. Mit unseren Schweizer Freunden vom Katamaran Olena spazieren wir zu einem herrlichen Wasserfall mit Pool. Doch die Rast bleibt kurz, zu aufdringlich sind die allgegenwärtigen Blutsauger, auch Nonos genannt. Diese kleinen Bestien sind die Hölle bei vielen Landgängen auf den Marquesas, vor allem weil sich die Stiche oft schlimm entzünden. Unser Ziel ist ein Besuch beim „Schokoladen-Mann“. Seit 25 Jahren lebt der gebürtige Deutsche Manfred Drexler, ehemaliger Saunabesitzer, auf Ua Pou. Seine Frau Thérese ist eine waschechte marquesanische Prinzessin. Manfred hat ein großes Stück Land gerodet, Obst- und Kakaobäume gepflanzt, ein Haus gebaut. Seit einigen Jahren erzeugt er köstliche Bio-Schokolade, die er nicht nur an vorbeikommende Segler, sondern auch an Geschäfte in Tahiti verkauft. Wir verkosten kleine Stückchen Cashew-, Orangen-, Kaffee-, Pfeffer- und Pistazienschokolade und Manfreds berühmten „Lady Killer“, ein mit Mangomousse gefülltes Schokoladenkonfekt.
Wolfi ist fasziniert vom Poumaka, einen knapp 1000 Meter hohen Vulkanschlot. Als Manfred erzählt, dass hinter seinem Haus ein alter Pfad zum Fuß des Obelisken führt, weiß ich sofort, was morgen am Programm steht. Wieder geht es rauf zu Manfreds Grundstück, dann folgen wir einem Fluss, bis sich der Weg steil durch einen Pandanus-Wald schlängelt. Vorsichtig stapfen wir über die scharfkantigen Blätter, an denen man sich leicht die Beine zerschneidet. Wir hangeln uns durch Grünzeug bis auf einen Grat, der mit mannshohen Farnen zugewachsen ist. Oft ziehe ich mich am Geflecht der Pflanzen hoch. Schweiß fließt in Strömen.Wir sind gefangen im hermetischen Grün, und endlich geht es im Leben mal nur aufwärts. Nach gut drei Stunden Marsch stehen wir wirklich am Wandfuß des Poumaka, der 1996 von deutschen Kletterern erstbestiegen wurde. Winzig fühlt man sich in dieser gewaltigen Szenerie und dennoch magisch angezogen von ihrem Zauber.
Wir entscheiden, ins Nachbartal abzusteigen. Wolf, mein Pfadfinder, findet den überwucherten Weg, manchmal schlägt er ihn mit der Machete frei. Ich glaube, er erspürt ihn mehr, als dass er ihn erkennt. Oft steige ich ins Leere, weil ich den Boden einfach nicht sehen kann. Jeder Schritt hat seinen eigenen Nachhall, seinen Moment der Kraft oder des Versagens. Insgesamt marschieren wir sieben Stunden durch den Dschungel, das ist anstrengend, fordernd, erschöpfend. Zurück am schaukeligen Ankerplatz lecken wir unsere Blessuren, versorgen die unzähligen Nono-Stiche und Pandanus-Schnitte auf den Beinen. Sitzen im Cockpit, bis die Sonne untergeht, und der Himmel in Pfirsich- und Malventönen leuchtet. Langsam finden wir wieder zurück ins Vagabundenleben, zur Sonne, zum Wind, zum Salz auf unseren Lippen, zu der Vertrautheit des Unbekannten, zu der magnetischen Kraft unserer Reise, die uns weiterzieht. In diesem Augenblick fühlen wir uns beide auf merkwürdig schüchterne, zögernde Weise glücklich. Das Leben findet jetzt statt, in dieser Minute, es ist alles, was wir haben. Es ist alles, was wir brauchen.