8. November 2021 - Jedes Ende einer Reise ist bekanntlich der Beginn einer neuen Reise. Dass Sturt Bay auf der Insel Texada die Endstation dieser Saison wird, kommt uns unwirklich vor.
Unwirklich auch, dass wir in den letzten zweieinhalb Jahren von British Columbia nach Washington, Oregon und Kalifornien segelten, von dort weiter nach Französisch Polynesien und im Frühling 2021 rauf nach Hawaii und Alaska, um schlussendlich nach 17.000 geloggten Seemeilen wieder in British Columbia zu landen. Alles anders als geplant.
Texada, die größte der nördlichen Gulf Islands, liegt in der windzerzausten Strait of Georgia, die das kanadische Festland von Vancouver Island trennt. Die gut 1000 Einwohner sind ein bunt zusammengewürfeltes Ensemble aus Künstlern, Hippies mit Dreadlocks, Schriftstellern, reichen Wochenendlern aus Vancouver, Marihuana Bauern und Pensionisten wie z.B. Alan, der die kleine Werft in der Sturt Bay leitet, wo unsere Nomad den Winter verbringen wird. Wir fühlen uns hier gut aufgehoben. Es gibt einen Supermarkt in Gehweite, ein Café, ein Restaurant, ein Postamt, einen RV-Park mit Münzwäscherei, viel Einsamkeit und Wanderwege.
Dass Abgeschiedenheit auch ihren Preis hat, erfahren wir beim geplanten Abflug. Wegen Schlechtwetter und Turbulenzen kann die kleine Piper Seneca, ein zweimotoriges, sechssitziges Leichtflugzeug, das uns von Texada direkt nach Vancouver bringen soll, nicht kommen. Für uns heißt das, wir müssen die Fähre zum Festland nach Powell River nehmen, dort übernachten und landen erst mit einem Tag Verspätung in Vancouver, was wiederum bedeutet, dass wir unseren Anschlussflug nach Toronto verpassen …
Auf jedem Flug kommt bei mir der Punkt, an dem die Gedanken an den Abflugort von den Gedanken an den Zielort abgelöst werden. Der Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft, diese wunderbare Schwebe in der Gegenwart, losgelöst von allen Koordinaten des Raums und der Zeit. Doch als diesmal die Maschine in den Landeanflug nach Wien Schwechat geht, bin ich dort noch nicht angekommen. Ich bin immer noch in der Wasserwelt des Pazifiks und bei unserem Boot, das so lange unser kleines Reich war. Nach zweieinhalb Jahren reisen, geht es auch um die Frage, was uns Heimat bedeutet und was ein Zuhause ist. Verlieren wir durch die lange Zeit in fremden Ländern unseren Bezug zu einer Heimat, einem Zuhause? Macht uns dieses Wandern zwischen den Welten zu Heimatlosen? Und können Glück und Freiheit vielleicht auch ein Daheim sein?
Es war schon immer so, dass ich etwas vermisse, sobald es nicht mehr greifbar ist. Das gilt für das Bootsleben und das Reisen genauso wie für das Zuhause. Fernweh oder Heimweh - ich weiß nie so genau, welches Weh sich wann, wo und wie melden wird. In den ersten Tagen in Österreich sprühten wir vor Energie und Adrenalin, erst kürzlich gesellte sich die Melancholie dazu. Eines Morgens, als die aufgehende Sonne den Schneeberg rot einfärbte, schlich sie sich leise in unsere Wohnung. Das Leben funktioniert momentan im Krebsgang. Zwei Schritte vor, einer zurück. Wir halten inne, verarbeiten, reflektieren, spüren unserer Reise nach. Erst in der Rückschau entsteht ein Bild.
Wir wünschen Euch allen einen wunderbar bunten Herbst und bedanken uns dafür, dass Ihr uns zweieinhalb Jahre lang begleitet habt. Ich möchte diesen Blog gerne weiterführen und werde in den nächsten Monaten von unserem Leben in Österreich berichten. Wenn alles läuft wie geplant, fliegen wir im April 2022 zurück zu unserem schwimmenden Zuhause. Schau ma mal, dann sehen wir´s eh …
Herbstwanderung zur Gauermann-Hütte, Dürre Wand, Niederösterreich