31. Mai 2022 - Texada Island. Dorthin zu kommen, ist bereits ein kleines Abenteuer.
Wir fliegen von Wien nach Montreal und weiter nach Vancouver. Insgesamt verbringen wir 12 Stunden in der Luft, setzen im Schlaf auf, meine Linke unter Wolfs Händen. Gegen Mitternacht erreichen wir mit dem Leihwagen das gebuchte Quartier, nehmen am nächsten Morgen die Fähre nach Nanaimo auf Vancouver Island, düsen mit dem Auto weiter nach Comox, um dort die Fähre zum Festland nach Powell River zu erwischen. Erschöpft und matsch, mit schweren Beinen und schwerem Kopf sitzen wir am späten Nachmittag endlich auf der Fähre nach Texada Island. Es fühlt sich an wie eine lange Reise, und die Welt kommt mir plötzlich wieder sehr groß vor.
Quinn, der unser Boot gehütet hat, empfängt uns lächelnd beim Schranken der Werft, erzählt vom langen, harschen Winter und vom derzeitigen Dauerregen auf der Insel. Nomad hat den Winterschlaf überstanden. Dennoch sehen wir die Spuren, die er hinterlassen hat, so wie man in einem Gesicht die Spuren sieht, die das Leben hinterlässt. In der Kajüte riecht alles so, wie es riechen soll. Es fühlt sich an, wie es sich anfühlen soll. So unglaublich vertraut. So nach uns. Es ist, auf eine unergründliche Weise, als seien wir gar nicht weg gewesen.
Im Gegensatz zum weichgespülten Leben in Österreich kommt mir in der Werft einfach alles anstrengend vor. Hundert Mal am Tag kraxeln wir die Leiter rauf und runter, in der Kajüte liegt überall Werkzeug rum, ein Kübel mit Deckel dient in der Nacht als Toilette. Bisweilen erinnert mich unser mittlerweile 34 Jahre altes Boot an ein eigenwilliges Familienmitglied, an dem wir hängen, das wir lieben, das uns aber manchmal auch auf die Nerven geht mit seinen Macken und Wehwehchen. Wir beginnen mit dem zermürbenden Akt des Abkratzens alter Antifoulingschichten. Diese anstrengende Arbeit geht mir nicht leicht von der Hand. Mit Booten lässt man sich zuweilen auf mühsame Angelegenheiten ein, die kein Ende nehmen wollen. Sisyphos ist am Walten. Als Nächstes müssen wir schleifen. Schleifen, schleifen, schleifen. Gefühlt: Tag und Nacht. Arme und Schultern schmerzen, eigentlich tut der ganze Körper an ungewohnten Stellen weh, so als wenn man einen neuen Sport macht und plötzlich lauter Muskeln spürt, die man vorher nicht mal kannte. Wir schwächeln, sind nicht mehr so elastisch wie früher, stattdessen porös und durchlässig. Unschön, aber wahr.
In manchen Momenten frage ich mich, was wir uns da eigentlich vorgenommen haben? Alle Anstricharbeiten im nasskalten Kanada erledigen, Hydraulikschläuche austauschen, Motor heben, damit wir die Welle ins Schiffsinnere ziehen können (nach außen funktioniert es nicht), um Wellenlager und Stopfbuchse auszuwechseln, neuen Wassersammler, neue Ankerwinsch montieren, ein paar Fenster tauschen usw. Sind wir eigentlich noch ganz bei Trost? Aber wir verzagen nicht, nicht jetzt schon. Und so flexen, schleifen, streichen, schrauben wir, packen fest zu, um mit den Arbeiten voranzukommen. Ohne die regelmäßige Ration an Zuneigung und Pflege für unsere treue Reisegefährtin geht es eben nicht. Wir müssen uns einfach Zeit nehmen für unseren Lebenstraum.