17. August 2022 - Tage vergehen. Tage verschwinden. Vor meinem inneren Auge die Ereignisse des letzten Monats in Momentaufnahmen.
Sind wir wirklich erst seit einem Monat unterwegs? Es fühlt sich bereits viel länger an. Drei Wochen lang hatten wir Besuch an Bord. Reinhard und Irmgard, zwei ganz liebe Freunde aus Wien, segelten mit uns von Vancouver bis Port Hardy, im Norden von Vancouver Island. Wir erlebten hochsommerliche Hitze in der lässigen Metropole, schwammen im 16 Grad kühlen Wasser, staunten über Wale, Robben, Seeotter. Hielten nach Bären Ausschau, von denen sich aber keiner zeigte. Wir fischten Pink Salmon, Rockfish und Kabeljau, meisterten tidengeplagte Rapids und Narrows, spazierten zu den Totempfählen in der Alert Bay, tingelten durch das Insel-Labyrinth der Broughtons und verloren den Überblick über die Tage. Wenig Menschen, dafür unendliche Weite und Wildnis pur. Irmgard brachte es auf den Punkt: „Die Gegend hat alles, was man sich unter Kanada vorstellt: schneebedeckte Gipfel, dichte Wälder, klare Bergseen, bezaubernde Buchten.“ Einziger Schönheitsfehler: der fehlende Wind im Sommer. Oft brachte uns der Dieselmotor ans Ziel.
Schon komisch: Je einsamer es wird, desto mehr sehnt man sich nach dem Alleinsein. Wir sind immer auf der Suche nach einem Liegeplatz, wo sich niemand sonst befindet. Wahrscheinlich hat es uns deshalb am verfallenen Steg in der Kwatsi Bay so gut gefallen. Champagnerluft, Möwen, ein versteckter Wasserfall im Zedernwald, erstklassiges Wolkentheater, am nächsten Morgen waren wir vom Nebel verschluckt.
Vielleicht klingt es ein wenig befremdend, wenn ich in diesen Tagen von einer heilen Welt erzähle, wie von der Lagoon Cove Marina, wo man gratis Shrimps zur täglichen Happy Hour essen kann, von Blunden Harbour, wo man altes Glas am Strand findet, vom verträumten Inselchen Jedadaiah, vom malerischen Sonnenuntergang auf Savary Island, vom Morgen-Yoga am Pier der Shoal Bay oder vom orangefarbenen Mond in Hanson Island. All diese Orte sind Aufladestationen, Hideaways, Verstecke in der Ozean-Berg-Szenerie im Westen Kanadas. Die Ereignisse der Welt dringen nur wie ein entferntes Echo bis hierher. Solange wir solche Orte haben, ist noch lange nichts verloren.
Bild ganz oben: am einsamen Steg in der Kwatsi Bay, Bild unten: vor Anker in der Nordbucht von Hanson Island.