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Eine Südseegeschichte

veröffentlicht am: 04. September 2024 | Doris Renoldner

Rundum Flaute. Kurz vorm Ziel verlässt uns der Wind, darum dröhnt der Motor und schiebt uns die letzten Meilen nach Aitutaki.

In einer WhatsApp Gruppe, dem modernen „Coconut Telegraph“, lesen wir, dass der Hafen von Arutanga wegen Baggerarbeiten gesperrt sein soll. Angesichts der miesen Wettervorhersage wollen wir dennoch rein. Mulmiges Gefühl so oder so: Die Einfahrt, ein 20 Meter schmaler und eine halbe Seemeile langer Schlauch, brodelt vom Gezeitenstrom. Mit Gashebel auf Anschlag kämpfen wir uns Meter für Meter ins winzige, zwei bis drei Meter seichte Hafenbecken und landen in einer chaotischen Baustelle. Keine Mole, kein Anleger, kein Steg, wo man festmachen könnte. Nur eine provisorische Aufschüttung, an der die Segelyacht „Makani Kai“ liegt. Zum Glück braust Ray mit seinem Dingi heran, zeigt uns, wo wir den Buganker werfen sollen und bindet unsere Heckleinen an wackeligen Korallenblöcken fest. Geschafft! Und niemand hat was dagegen, dass wir hier liegen.

Hafen Arutanga in Aitutaki, Cook Islands

Aus der Luft betrachtet ist Aitutaki der Inbegriff eines Südseetraums. Eine hügelige Insel, die in einer türkis schimmernden Lagune schwimmt und von einem Haifischzahnförmigen Außenriff umrahmt wird. Obwohl wir uns in den Cook Islands befinden, spuckt der Bankomat Neuseeland Dollar aus. Das Einklarieren klappt freundlich und unkompliziert, liebenswürdige Menschen begrüßen uns mit „Kia Orana“! Knapp 2000 Polynesier leben auf dieser abgeschiedenen Insel. Hunde gibt es keine, was vor allem mir unbeschwerte Spaziergänge beschert. Nicht nur deshalb lädt Aitutaki zum Bleiben ein. Zweimal besteigen wir den höchsten Hügel der Insel, den Maunga Pu mit 124 Metern Höhe. Von oben sieht man bekanntlich immer mehr, vor allem den Starkwind am offenen Pazifik. Wütend brechen sich die Wellen am Außenriff. Eine Naturgewalt, die klarmacht, dass Aitutaki umzingelt ist von der größten Wildnis überhaupt: dem Ozean.

Das wirklich Besondere in Aitutaki ist für uns das Wiedersehen mit Sonja Raela nach fast drei Jahrzehnten. Kennengelernt haben wir die geborene Kärntnerin, die bereits als Kind mit ihren Eltern nach Kanada auswanderte, auf unserer ersten Weltumsegelung 1995. Sonja war damals erst seit kurzem mit Tauono, einem Polynesier, verheiratet und neu auf der Insel. Wir halfen mit, den Plafond in ihrem Haus zu montieren, bauten mit Tauono Reusen und gingen gemeinsam fischen. Wir schrieben uns Briefe, verloren jedoch mit der Zeit den Kontakt, hörten aber immer wieder von Seglern, dass Sonja noch in Aitutaki lebt. Ziemlich aufgeregt klopfen wir 29 Jahre später an ihre Haustür in Amuri. Plötzlich steht eine lachende, 78-jährige Frau barfuß vor uns: „Ich sollte Euch kennen, stimmt`s?“ „Hallo Sonja, wir sind Doris und Wolfi.“ Weiter kommen wir nicht, denn sie drückt uns sofort an sich. „Das gibt es jetzt nicht“, meint sie mit Tränen in den Augen. „Ich habe oft an Euch gedacht und bis vor kurzem standen Eure beiden Namen noch am Plafond, aber den musste ich neu streichen lassen.“ Gerührt sitzen wir vor ihrem Südseehäuschen und erzählen, was in den Jahren so alles passiert ist. Sonja trägt ein buntes Hängekleid und große Ohrringe und strahlt irgendwie von innen heraus. Sie ist immer noch eine schöne, warme, herzliche Frau. „Das Leben mit Tauono hielt mich auf Trab. Wir legten einen Garten an, wir eröffneten ein Café, wir verdienten Geld, wir verreisten. Es fiel uns nichts in den Schoß, es gab Ärger und selbstverständlich auch richtige Krisen. Aber keiner von uns dachte jemals an Trennung. In einem so langen Leben wie dem meinen gibt es viele unvergessliche Geschehnisse. Das Erinnern ist mein Laster“, philosophiert sie. Tauono ist bereits 2009 in Neuseeland verstorben. Ihr herrliches Gartencafé hat Sonja mittlerweile geschlossen. „Zu viel Arbeit, das schaffe ich nicht mehr.“ Dennoch verkauft sie bis heute Obst, Gemüse, Kokosbrot und Brotfruchtlasagne an Touristen. Seit einem Autounfall vor einigen Jahren leidet Sonja an den Folgen einer gebrochenen Hüfte. Die Schmerzen quälen sie vor allem in der Nacht und beim Gehen. Auf meine Frage, ob es ihr mit fast achtzig in Aitutaki gut gehe, antwortet sie ohne zu zögern. „Nicht das Alter ist mein Gegner, eher die Zeit, die so schnell verrinnende Zeit. Mir geht es übrigens blendend. Ich bin wieder verliebt. In einen 30 Jahre jüngeren Mann. Ich war noch nie so glücklich.“ Ich freue mich mit ihr und denke mir, das ist eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.

Wiedersehen mit Sonja nach fast drei Jahrzehnten

 

Trailer


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