Nach 840 Seemeilen und sechs ruppigen Tagen im Südpazifik sehne ich mich nach Ruhe, ohne im Schlaf ständig von links nach rechts gerollt zu werden.
Ich wünsche mir, dass Nomad nicht mehr auf- und abspringt und um sämtliche Achsen schlingert. Dieser Wunsch geht in Port of Refuge, einer der sichersten Naturhäfen des Pazifiks, tatsächlich in Erfüllung. Unser Boot liegt wie angenagelt im spiegelglatten Wasser vor dem verschlafenen Neiafu, zweitgrößte Stadt Tongas und Treffpunkt der Blauwassersegler aus aller Herren Länder. Jeden Morgen erfährt man das Neueste samt Wetterbericht auf UKW Kanal 26 und abends sieht man sich im „Mango“, im „Kraken“ oder im „Hideaway“, ein verankertes Floss, auf dem es köstliche Fish and Chips und süffige Margaritas gibt.
Die letzten Monate waren wir gefühlt ständig auf Achse, hatten Gäste an Bord und wegen der Wetterkapriolen Termindruck. Jetzt steigen wir auf die Bremse, verbummeln die Tage, vertrödeln die Stunden, lassen uns Zeit. Doch schon bald langt uns das Stadtleben, wir wollen raus zu den Kronjuwelen des Königreichs. So wird die Vava´u Gruppe, Tongas nördlicher Archipel, genannt. Ein verzweigtes Labyrinth kleiner, bewaldeter Koralleninseln samt heimtückischer Riffe. Von kurzen Distanzen, einsamen Sandstränden und türkisen Buchten lesen wir im Cruising Guide. Gleich die Wahl unseres ersten Ankerplatzes entpuppt sich als Glücksgriff! Bei Flaute steuern wir zu einer halbmondförmigen Insel, tatsächlich sind es zwei einzelne, durch eine Sandbank verbundene Inselchen: Taunga mit einem Dorf und das unbewohnte Ngau. Am Strand unzählige Sand Dollars (eine Seeigel-Art) und eine Hundespur, sonst nichts. Wir sind hier ganz alleine! Als der Wind am nächsten Morgen auffrischt, wird der Ankerplatz allerdings ungemütlich. Was uns in diesem Gebiet rasch auffällt: Viele der Traumbuchten liegen exponiert und bieten kaum Schutz vor Wind und Schwell, hinzu kommt gut ein Meter Tidenhub, der die Riffe bei Hochwasser überspült.
Seit gestern schwebt Nomad vor der unbewohnten Insel Kenutu in einer türkisfarbenen Parallelwelt, dümpelt wie fortgespült in eine Zeit, als wir Segler noch mehr Entdecker als Eindringlinge waren, mehr Überlebenskünstler als Konsumenten. Vom Ufer weg folgen wir einem kurzen Pfad durchs Unterholz und durch Pandanus-Dschungel zur Luvküste der schmalen Insel, wo uns wütende Brandung entgegenfaucht. Wir klettern über scharfkantiges Gestein auf eine Klippe und blicken lange in die aufgewühlte See. Wie unterschiedlich das Meer doch sein kann, denke ich mir. Auf der einen Seite der brüllende Ozean, auf der anderen die friedliche Lagune. Zurück am Strand schieben wir das Beiboot ins warme Wasser. Die Luft fühlt sich weich und samtig an. Und das Leben spürt sich gerade so federleicht an, dass ich ein Dankesgebet zum Himmel schicke. Was für eine Gnade, wenn man sanft gelandet ist. Durch reinen Zufall, durch pures Glück – in einem Leben ohne Hunger, ohne Krieg, ohne Flucht.