Mit dem Morgen kommt Land in Sicht. Aus dem Dunst schälen sich die Konturen sanfter Hügel.
Der neue Tag scheint uns ins Gesicht, die Müdigkeit der Nacht ist schnell verschwunden. Wir segeln wie in Zeitlupe, genießen die letzten Seemeilen dieser Passage. Im Veronica Channel schmeißen wir dann doch den Diesel an und motoren zum Quarantäne-Steg der Marina von Opua. Wiedersehen mit Neuseeland nach 18 Jahren! Bis auf einen windzerrupften Tag liegt eine beschauliche einwöchige Überfahrt seit Tonga hinter uns. Ein Customs/Immigration Officer und eine Biosecurity Lady steigen an Bord, erledigen die Formalitäten des Einklarierens unkompliziert und unerwartet freundlich. Ganz anders als bei unserem ersten Besuch 2008, damals wurden wir stundenlang von schroffen Beamten gepiesackt. Überhaupt kommen uns diesmal alle so freundlich vor: Die Mädels im Marina Office, die Kellnerin im Café, der Angestellte im kleinen General Store. Aotearoa spürt sich schon am ersten Tag gut an.
Wir gönnen uns und Nomad einen Marina Liegeplatz, schrubben Deck und Cockpit, genießen die erste heiße Dusche seit knapp einem Jahr, und feiern im Opua Cruising Club unseren Landfall in Neuseeland. Jeden Tag trudeln neue Boote von den Tropen ein. Einige von ihnen kennen wir aus Tonga, wie die „Warrior“, die „Chaos“, die „Fandango“, die „Volantis“. Auch unser Schweizer Freund Mirko von der „Yum Yum“ landet nach einer anstrengenden Solofahrt von Fiji in Opua. Großes Hallo, Umarmungen, ein Abendessen bei uns an Bord mit Mirkos frisch gefangenem Thunfisch. Es gibt so viel zu erzählen seit unserem gemeinsamen Pandemiejahr in Französisch Polynesien. Am Parkplatz der Marina laufen wir Ted, einem alten Segelfreund, zufällig in die Arme. Das letzte Mal sahen wir ihn 2008 in den Marshall Islands. Damals, vor 16 Jahren, hätte ich nicht gedacht, dass das Leben solche Spuren in einem Gesicht hinterlassen könnte. „Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll, wenn das Wichtigste im Leben nicht mehr da ist“, meint Ted mit Tränen in den Augen. Seit dem Tod seiner Frau Karen kommt er sich ziemlich verloren vor.
Ein Travellift Termin in Whangarei drängt zum baldigen Aufbruch, dennoch legen wir einen Zwischenstopp in der Paradise Cove von Urupukapuka ein, wandern über grüne Hügel und blicken auf das Inselgewirr der Bay of Islands. Wie am Ende jeder längeren Reise reflektieren wir, wo wir überall gewesen sind, welche Häfen und Ankerplätze wir angelaufen, welche Küsten wir angesteuert haben. Wie hieß noch die eine Bucht in Kanada, wo wir eine kleine Eisbox am Strand fanden? Wo haben wir das blaue Stahlschiff schon einmal gesehen? Wen haben wir unterwegs aller getroffen? Wie viele Geschichten gehört? Wir denken zurück an Karl und Ali von der „Muktuk“, mit denen wir gemeinsam nach Haida Gwaii segelten. An Wiebke und Ralf von der „Flora“, mit denen wir in La Paz Margaritas tranken – in Gedenken an den kürzlich verstorbenen amerikanischen Musiker Jimmy Buffet. Seine Songs wie „Margaritaville“, „A Pirate Looks at Forty“, „Changes in Latitudes, Changes in Attitudes“ begleiten auch unser Seglerleben. Oder an den sensiblen Josh, dessen Traum von Patagonien an der harten Realität scheiterte. Kaum auf den Marquesas angekommen, segelte er postwendend mit seinem acht Meter Miniboot zurück in die USA. An Alene und Bruce vom roten Trimaran „Migration“, die uns im Minerva Reef zu köstlich selbstgebackenen Waffeln einluden. An Arianne und Michel, die ihre „Joy“ gerade in Panama verkauft haben, an die Meeresbiologen Tom und Sonja mit Sohn Keano, die mit ihrem riesigen Wharram Kat „Pakia Tea“ wahrscheinlich noch immer nicht alle Riffe in den Tuamotus erkundet haben, an unsere Freunde in British Columbia wie Dick und Anne, Candice und David, Quinn und Amy, Brad, Alan, Roger, … die unsere Sehnsucht nach Kanada aufrecht halten. Meine Gedanken überschlagen sich, mir würde noch so viel einfallen …
Was bleibt von achtzehn Monaten Unterwegssein von Kanada nach Neuseeland? Was nehmen wir mit außer Fotos und schönen Erlebnissen? Je mehr sich unsere Reise in die Vergangenheit stiehlt, desto mehr erinnern wir uns an die Begegnungen. Das Salz in der Suppe jeder Reise sind die Menschen, die man trifft. Manchmal bleiben es lose Bekanntschaften, manchmal werden es neue Freunde. Darauf trinken wir noch ein Achterl Rotwein und lächeln beseelt auf das Meer, das sich im abendlichen Licht langsam rosarot färbt.