Arktisches Tauwetter

05. August 2016 – Vor Anker in der Batty Bay, in einem Übermaß an Leere und großer Kargheit. Kalt, nass, düster, grau.

Am Ufer eine noch nie zuvor gesehene Geologie. Braune Hügel, dazwischen Kliffkanten mit hohen Festungen und Pfeilern. Andrea meint: "Wie ein indischer Maharaja Palast in Jaisalmer." Eine Herde Belugawale zieht vorbei, Familie Wallross suhlt sich am Strand.

Vertrautes Ritual: Täglich laden wir Grib Files übers Satellitentelefon auf unseren Laptop, blicken gebannt auf die Windpfeile am Bildschirm und interpretieren sie. Das Wetter bestimmt hier alles. Es bestimmt, ob man weiter segelt oder lieber in der geschützten Bucht bleibt. Heute haben wir uns fürs Bleiben entschieden und beugen uns über die kanadischen Seekarten, die wir in den nächsten Wochen brauchen werden. Bellot Strait, Franklin Strait, Larsen Sound. Die Namen hypnotisieren mich, sie beschreiben das Unmögliche. Dort wo sonst dickes Packeis das Meer bedeckt, wollen wir segeln? Meine ungläubigen Augen wandern über Inseln, Fjorde, Sunde, Flachs. Vorsichtig falte ich eine Karte nach der nächsten auseinander. Entdecke mögliche Ankerplätze und Häfen, stecke Kurse mit dem Zirkel ab, fixiere Längengrade, Breitengrade. Die Dimensionen übersteigen mein Vorstellungsvermögen.

Wir leben bekanntlich in einer Zwischeneiszeit, noch liegen die Pole unter Eis. Irgendwann werden die Gletscher auch von dort verschwinden, um in ferner Zukunft wiederzukehren. Zu Recht sorgen wir uns um den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels. Weil das Eis schwindet, weil diese polare Eiswelt vergeht, können wir hier rumsegeln. Nur deswegen ankern wir bereits Anfang August im Prince Regent Inlet ohne einzufrieren oder vom Packeis zerquetscht zu werden. Eine Tatsache, die uns sehr nachdenklich stimmt.

 

Bild: Batty Bay, Ostküste von Somerset Island, Prince Regent Inlet, kanadische Arktis