Noch lange nicht

2. September 2021 - Der Sommer in Alaska ist vorbei, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Nur kurz und flüchtig zeigte er sich.

Und jetzt, Anfang September, jagt ein Tief das andere und bringt Dauerregen mit südlichen Starkwinden. Natürlich genau die Richtung, in die wir wollen. Die Zeit ist wahrlich ein Dieb. Ich wundere mich wieder einmal, wie schnell die letzten Wochen ins Land gezogen sind. Von der Insel Kodiak segelten wir zu den Kenai Fjords und nach Seward, weiter in die Wunderwelt des Prince William Sounds und in drei gnadenvollen Tagen über den Golf von Alaska nach Sitka. Momentan ankern wir bei anthrazitgrauem Mistwetter vor Craig, ganz im Süden von Alaska und wissen, dass mit dem zügigen Weiterkommen vorerst einmal Schluss ist. Doch welche Erinnerungen, welche Spuren trägt dieser Sommer, der von berauschender Intensität erfüllt war?

Seelöwennasen, die in Kelpfeldern auftauchen. Walgesang ganz nahe beim Boot. Frisch gefangener Lachs und Heilbutt im Überfluss. Insektenschutzmittel vermischt mit Sonnencreme. Schwefelig, heiße Quellen, in denen wir suhlen, bis die Haut unserer Fingerspitzen und Zehen runzelig wird. Gletscher, die ins Meer kalben, Urzeiteis zum Anfassen. Wasserfallsound auf der Tonspur.Mystische, einsame Ankerbuchten. Der harzige Atem der Tannen, Fichten und Zedern. Der Geschmack selbst gepflückter Heidelbeeren – eine süße Brise aus heilen Kindertagen. Morgenstille. Nebelschwaden, die Klippen, Inseln und Ufer verhüllen. Das Gefühl von Weite und Freiheit. Das würzige Aroma des Abenteuers. Die unbequeme Nacht im Zelt beim Lost Lake. Salzluft und das Knarren der Fischerboote im Hafen. Bereichernde Begegnungen mit Menschen, jede Begegnung eine Reise ins Unbekannte.

Magische Augenblicke, in denen alles außer Zweifel steht und der Kosmos im Lot pendelt. Tage, die nicht enden wollen. Sonnenschein um zehn Uhr abends. Sich an Dunkelheit nicht mehr erinnern wollen und nicht daran, wie finster ein Morgen sein kann. Noch nicht, noch lange nicht an den anstehenden Werftaufenthalt in wenigen Wochen denken. Ein Sommer in Alaska. Was für ein Glück!